»Malik macht das Tor!«, manifestieren meine Nichte und ich. Die Sonne steht hoch auf dem Platz der SG Dresden Striesen. Wir stehen uns gegenüber, halten unsere Hände wie zum Gebet vor der Brust. Ein Schuss. Wir springen und schreien. Freude. Hoffnung. Wenige Minuten später: das Gegentor. Frust. So viele Emotionen und Gefühle in kurzer Zeit – Wahnsinn. Ich bin froh, kein Fußballkind zu haben.
»Wir machen das hier jedes Wochenende«, berichten die stolzen Großeltern. Für mich eine Ausnahme, das würde ich emotional nicht lange aushalten. Was es mit einem jungen Führungsspieler macht, abzusteigen, das interessiert mich nun umso mehr, und daher treffe ich meinen Neffen Malik Täschner einige Wochen später zum Interview für »Die Galerie deines Lebens«.
»Der eine oder andere hat seine Hormone einfach nicht so ganz im Griff.«
Wie überlebt ein 16-Jähriger den freien Fall, wenn Fußball nicht nur Leidenschaft ist, sondern Identität? Du warst Stammspieler, Leistungsträger, Kapitän – standest, wann immer es ging, auf dem Feld. Wie fühlte es sich an, als ihr abgestiegen seid, trotz des Kampfes, deines ganzen Engagements und der Treffer im letzten Spiel?
Ich war am Boden zerstört. Hab mich sehr leer gefühlt, denn ich habe wirklich alles dafür gegeben. Nicht nur in diesem einen Spiel. Wir wussten schon sechs Spiele vorher, dass wir jedes weitere gewinnen müssen. Im letzten Spiel sind halt ganz viele Faktoren zusammengekommen. Der ganze Druck, der auf jedem einzelnen Spieler lastete. Am Morgen sind wir mit der Einstellung in die Kabine, gewinnen zu wollen. Unser Trainer hatte Bilder der ganzen Saison aufgehängt. Wir alle waren hochmotiviert. Gingen raus. Gaben alles.
Und dann?
Dann hatten wir gute und schlechte Momente, wie es in so einem Spiel ist. Uns sind bittere Fehler passiert. Aber man kann es halt am Ende nicht ändern. Es war gut, dass keiner aus der Mannschaft irgendetwas, was im Spiel passiert ist, jemandem übel genommen hat. Wir standen als Team da.

Du hast gesagt, der Erfolgsdruck war schon etliche Spiele zuvor da. Wie gehst du damit um?
In Striesen spielen wir als Mannschaft in so einer Saison um den Aufstieg. Also nach oben hin. In dieser Saison kamen viele ungünstige Faktoren zusammen. Viele waren verletzt. Wir mussten aus drei Mannschaften eine machen. Wir wussten von Anfang an, dass wir gewinnen müssen. Den Druck haben wir dann in Energie umgewandelt. Wir wollten das unbedingt. Wir wollten dieses letzte Heimspiel gewinnen und auf unserem Platz den Klassenerhalt feiern.
Wie hat sich der Druck bei dir bemerkbar gemacht?
Das hat jeden Abend auf mir gelastet. Manchmal konnte ich nicht so gut einschlafen. Oder ich konnte schlafen, wurde aber nervös. Wachte öfter in der Nacht auf. Dann sind wir teilweise auswärts gefahren. Nach Hoyerswerda sind es zum Beispiel von Dresden aus gut eine Stunde Fahrt. Da ging mir häufig auch vieles durch den Kopf. Dann stehe ich irgendwann auf dem Platz und bin befreit. Spiele halt. Kann den Druck endlich in Energie umwandeln und bin einfach froh, wenn ich es geschafft habe.
»Ich bin dann, wie in einem Tunnel – und lasse Taten für mich sprechen.«
Gibt es noch irgendein anderes Gefühl, das du mit dem Abstieg verbindest, außer diesem Druck und der Leere?
Enttäuschung auf jeden Fall. Gegenüber dem Verein – ihn enttäuscht zu haben. Wir wissen zwar, dass unsere Trainer sehr stolz auf uns sind. Sie haben sehr viel für uns getan. Das war mehr, als jeder normale Trainer tut. Wirklich außergewöhnlich. Alle drei, die wir hatten. Wir haben auch sehr viel erlebt als Mannschaft. Deswegen waren die auch sehr stolz. Auch deshalb habe ich diese Saison trotzdem sehr positiv in Erinnerung. Es sind also auch Glücksgefühle da, weil es halt einfach sehr schöne Momente mit tollen Menschen und Charakteren in diesem Jahr gab. Aber letztlich bleibt trotzdem am Ende große Enttäuschung.
Freude und Glück über die Mannschaft und das Trainerteam können ganz selbstverständlich neben der Enttäuschung über das Ergebnis stehen. Was glaubst du, in welcher Galerie hat dein Trainer das Bild der Mannschaft aufgehängt?
Ich denke, unser Mannschaftsbild hat er sich auf jeden Fall zu Hause aufgehängt. Bestimmt im Wohnzimmer oder so.
[Lacht.] In welcher Gefühlsgalerie finden wir es? Also, mit welchem Gefühl verbindet er das vermutlich?
Mit sehr viel Glück, aber trotzdem bestimmt auch mit der Enttäuschung, zu wissen, dass der Abstieg bitter und unverdient war. Sicher auch mit Enttäuschung, darüber, dass er uns jetzt als Mannschaft abgeben muss und eine andere Mannschaft betreut. Dennoch bleibt sicher die Freude. Er meinte auch, dass es eine der besten Saisons war, die er je mit Spielern hatte.

Dieses ganze Fußballthema ist schon recht emotional. Ich könnte dir nicht jedes Wochenende dabei zusehen. Zumal ich bei diesem letzten Spiel gehört habe, dass du als Führungsspieler gerne mal zur Zielscheibe wirst. Wie gehst du damit um, wenn dich jemand provoziert oder unfair attackiert?
Teilweise höre ich bereits vor den Spielen, dass es einzelne Spieler auf mich abgesehen haben. Manche finden mich blöd, obwohl sie mich gar nicht kennen. Dann gehen die härter ins Spiel. Hin und wieder werde ich vor den Spielen auch von anderen gewarnt, die davon Wind bekommen haben. Das sind eher Momente, die mich noch mehr motivieren, weil ich dann weiß: Okay, ja, er kann nicht anders.
Und auch im Spiel. Wenn jemand anfängt, bei uns sagt man zu Trash-Talken, also Quatsch zu reden, wie schlecht man sei und dass man nichts kann, bleibe ich einfach ruhig, konzentriert und mache mein Spiel. Ich bin dann, wie in einem Tunnel – und lasse Taten für mich sprechen. Manchmal frage ich ihn auch nach dem Spiel, wo er denn jetzt war. Aber im Spiel lasse ich ihn einfach reden. Am Ende zeigt es, dass er unterlegen ist und sich nicht anders zu helfen weiß, dass er zu solchen Mitteln greifen muss.
»Hin und wieder werde ich vor den Spielen auch von anderen gewarnt, die davon Wind bekommen haben.«
Wirklich bemerkenswert. Gerade in den niedrigeren Ligen, kommt es hin und wieder zu Schlägereien und Auseinandersetzungen, weil die Emotionen hochkochen und manch einer sich nicht im Griff hat.
Ja, auf jeden Fall. Gab es in der vergangenen Saison auch im Leistungsbereich. In der U16 war das, glaube ich. Da gab es eine Schlägerei, bei der dann sogar Fans der Männermannschaft über Zäune geklettert sind und auf den Platz stürmten. Das muss ganz krass gewesen sein. Ist schon ein bisschen her, aber das sind auch so Momente, da geht es ganz schnell. Und natürlich gibt es Punkte, wo ich sage: Okay, ja, hier reicht es jetzt. Ich bin immer im Tunnel, aber wenn mir irgendjemand ununterbrochen ins Ohr quatscht, dann sage ich ihm auch irgendwann mal: Geh mir nicht auf die Eier! oder Nerv bitte nicht! Du kannst nach dem Spiel mit mir reden. Sie sollen Fußball spielen, statt Quatsch zu reden.
Ist sicher auch Sache der Trainer, so etwas zu beobachten und die Spieler einzufangen, damit sie sich aufs Spiel fokussieren, oder?
Kommt auf den Trainer an. In der Vergangenheit hatte ich mal einen, der eher meinte: Der Spieler ist nicht so schlecht. Quatsch den mal voll. Nerv den ein bisschen. Das wurde also als Taktik eingesetzt, um den so ein bisschen mürbe zu machen. Vielleicht macht er dann einen Fehler. Als ich mal ein Jahr hochgezogen wurde, haben wir in Zwickau gespielt. Einer der Spieler war ganz schön aufbrausend. Ohne, dass der Trainer irgendwas gesagt hat, meinte ein Mitspieler in der Halbzeit: Der wird heute noch mit Rot runterfliegen. In der zweiten Halbzeit wurde der Spieler des Gegners gefoult. Er ist dann direkt aufbrausend geworden und hat unserem Spieler einen Spruch gedrückt und ihn getreten. Dann ist er mit Rot runter. Mittlerweile werden viele Spieler sehr schnell aggressiv. Der eine oder andere hat seine Hormone einfach nicht so ganz im Griff.
Wie heißt es so schön: Während der Pubertät steht auf der Stirn in leuchtenden Großbuchstaben »Wegen Umbau geschlossen!« Lass uns über eine weitere Situation sprechen: Du stehst auf dem Platz. Freistoß. Der Ball liegt vor dir. Alle Augen auf dich. Du weißt, von deinem Schuss hängt einiges ab. Was passiert in deinem Kopf?
Wir hatten diesen Freistoß nach dem Foul im letzten Spiel. Es waren die letzten fünf Minuten, bei einem Spielstand von zwei zu zwei. Das hätte nicht gereicht. Ich dachte mir: Okay, komm, schieße ich den jetzt. Den mache ich auf jeden Fall. Es wurden fünf Mann direkt in die Mauer gestellt. Das ist ziemlich viel. Sie waren alle relativ groß und ich war mir unsicher: Schieße ich den jetzt über die Mauer ins Tor oder ins lange Eck, so wie ich es halt eigentlich mache? Der Torwart stand recht mittig. Dann war klar: Ich schieße den jetzt in die lange Ecke. Es war natürlich auch ein bisschen Glück dabei, aber er war scharf geschossen. In meinem Kopf ging eigentlich nur vor: Ich mache den jetzt rein und renne dann zur Eckfahne. Als es so kam, war ich umso glücklicher.
»Es gibt so viele unvergessliche Momente.«
Weg von diesem emotionalen Spiel. Du hattest eine Verletzung, die dich eine ganze Weile zum Zuschauer gemacht hat. Was passiert mit dir, wenn du plötzlich dieses Ventil oder die Bühne verlierst?

Boah, ich sage mal, der physische Schmerz im Körper, also die Fraktur im Oberschenkel, war nicht annähernd so schlimm, wie die Tatsache, dass ich nicht auf dem Platz stehen konnte. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen. Ich fühlte mich so leer. Dennoch war ich da, habe zugeschaut und trotzdem probiert zu motivieren. Es war deprimierend, wenn wir Spiele verloren haben, die wir eigentlich nicht verlieren. Da kamen schon Gedanken, wie: Hätte ich jetzt mit auf dem Platz gestanden … Manchmal lag ich abends im Bett und dachte: Wenn ich jetzt einmal Fußball spielen könnte. Es kamen Fragen auf, wie: Warum habe ich jetzt diese Verletzung?
Am Anfang hieß es zwei Wochen Pause. Dann sind wir zum nächsten Arzt. Der meinte: vier Wochen. Plötzlich sagte jemand: Ich muss das restliche Jahr pausieren. Im Januar könne ich wieder Sport machen. Irgendwann war es dann soweit. Ich glaube, im März habe ich tatsächlich wieder angefangen. Der Arzt gab mir das Go, wies aber darauf hin, nichts versprechen zu können. Ich dachte mir: Okay, es ist jetzt so gut wie zugewachsen, das heißt, da ist noch was zu sehen, aber ich muss jetzt spielen. Ich wollte nicht absteigen. Der Schmerz wurde zur Nebensache.
Da steckt schon eine große Portion Risikobereitschaft dahinter, für deinen Traum auf den Platz zu gehen, obwohl noch nicht alles abgeheilt ist. Was passiert, wenn dich eine Verletzung für immer in die Knie zwingt?
Das meinte der Arzt auch. Eigentlich empfahl er mir, aufzuhören. Ich glaube, wenn es ganz wegfällt, würde ich mich irgendwann daran gewöhnen. Andererseits würde ich auf jeden Fall Sport machen. Im Fitnessstudio zum Beispiel. Was mir sehr fehlen würde, wäre, vier- bis fünfmal die Woche zu trainieren und dieses Teamgefühl. Ich erlebe so viel. Das werde ich halt nie wiederkriegen. Ich bin sehr froh, dass ich mit viereinhalb Jahren angefangen habe. Es gibt so viele unvergessliche Momente. Trotz aller Rückschläge bin ich dankbar und hoffe einfach, dass es nicht wegfällt. Das wäre schon bitter.

Gäbe es eine Alternative?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe den Lehrgang zum Junior-Coach gemacht und bin jetzt als Co-Trainer an der Seite meines alten Trainers. Die Jungs sind ganz cool und ja, das könnte ich mir auch für die Zukunft gut vorstellen.
»Was machst du denn hier überhaupt in Dresden?«
Lass uns über einen anderen Bereich deines Lebens sprechen. Die Herkunft deines Vaters kannst du nicht verbergen und ich weiß, dass Alltagsrassismus ein Thema für dich ist.
Ich habe schon das Gefühl, in Dresden anders angesehen zu werden, als wenn ich jetzt zum Beispiel in Hamburg bin. Ich fühle mich in Dresden trotzdem sicher, vielleicht auch, weil ich mittlerweile schon ein bisschen größer bin. Aber es bleibt das Gefühl, dass Rassismus mehr und mehr zunimmt. Gerade letztens, als ich aus der Türkei zurückgekommen bin, wurde ich direkt in der Bahn damit konfrontiert.

Was ist passiert?
Ich steige in die Bahn, weil ich mich mit meinen Jungs in der Stadt treffen wollte. Dann setze ich mich hin, habe meinen Klingelton an. Meine Freundin hatte mir geschrieben. Ich habe kurz auf mein Telefon geschaut und ihr einfach nur geantwortet. Als ich mein Handy gerade wieder wegstecken wollte, setzte sich ein Mann neben mich. Nach einer kurzen Diskussion darüber, ob ich meine Umgebung überhaupt wahrnehme, wenn ich nur am Handy bin, und ob ich keine neuen Menschen kennenlernen möchte, stellte er mir eine Frage: Was machst du denn hier überhaupt in Dresden? Als ich ihm erklärte, dass ich hier wohne, wollte er direkt wissen, wie lange ich schon hier bin. Erst meinte ich: Seit einer Stunde … denn ich kam ja gerade aus dem Türkei-Urlaub. Dann fügte ich aber hinzu: Seit meiner Geburt. Er war ganz überrascht.
Sicher meinte er es nicht böse. Er stieg dann aus und wünschte mir einen angenehmen Tag. Was zurückblieb, waren ich und die Blicke der anderen in der Bahn. Manchmal frage ich mich, ob irgendwas falsch mit mir ist oder ob ich mich irgendwie ändern kann, dass mich Leute nicht mehr so ansehen oder mir solche Fragen stellen? Fragen, die von den Leuten meistens sicher nicht böse gemeint sind. Aber mich trotzdem verletzen. Über die ich mir Gedanken mache.
Um ihn oder auch zukünftige Fragen derart zu spiegeln, kannst du ja mal zurückfragen: Ist das jetzt Interesse oder ein Vorwurf?
Stimmt schon. Wenn sie ernsthaft Interesse an mir haben, dann können wir uns unterhalten. Aber wenn sie jetzt gerade in irgendeine bestimmte Richtung wollen, dass ich hier als Sozialschmarotzer mit meinen Eltern lebe, dann würde ich mich lieber nicht mit ihnen unterhalten.
Damit kannst du dich klar positionieren. Für eines dieser Themen bist du eben nicht zu haben. Das steht dir zu. Gab es Situationen, in denen du mal angegangen wurdest?
Also körperlich zum Glück noch nicht. Da bin ich auch sehr dankbar für. Aber es gab mal eine Situation, da bin ich vom Training gekommen. Ich fuhr auf meinem Fahrrad. Die Straße verengte sich, weil der Fahrradweg endete und eine Bushaltestelle vor mir lag. Hinter mir kam ein weißer Van. Ich habe extra abgebremst, damit er vor mir durchkam. Kein Zeichen von Dankbarkeit. Da dachte ich mir noch: Okay, dann halt nicht. Manchmal denke ich mir: Es sind solche Kleinigkeiten, die die Welt eigentlich viel besser machen würden. Als ich dann hinter ihm fuhr, habe ich gesehen, dass sein hinteres linkes Licht flackerte. Es war offensichtlich kaputt. Die Straße wurde wieder breiter. Und als er in seiner Spur zum Stehen kam, fuhr ich neben ihn. Ich zeigte an, ob er kurz das Fenster runtermachen kann. Tat er dann auch. Ich meinte nur so: Entschuldigung, aber ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass Ihr hinteres Rücklicht irgendwie flackert und kaputt ist. Und dann meinte er: Das weiß ich selber, du scheiß Ausländer.
Ehrlich?
Ja, das hat er gesagt. Ich war so übelst geschockt. Dann hat er das Fenster wieder hochgemacht, mir den Stinkefinger gezeigt und ist losgefahren.
Nein.
Doch. Ich stand da noch so fünf Sekunden und dachte mir: Wieso?
»Ich verstehe nicht, wieso manche Menschen so einen Hass in die Welt setzen.«

Wie hast du dich gefühlt in dem Moment, als er das zu dir gesagt hat?
[Überlegt.] Weiß nicht.
Der scheiß Ausländer ist schon heftig!
Ja, das war noch so relativ am Anfang, wo mir das noch nicht so oft passiert ist. Mittlerweile ist der Rassismus eher nicht so offen. Das letzte Mal war es, glaube ich, an meiner ehemaligen Schule.
Offenkundige Anfeindungen?
Genau. Da spielten gemischte Gefühle eine Rolle. Es ist gar nicht mal Wut, es ist einfach Enttäuschung. Weil ich mich einfach frage, wie Menschen sowas machen können. Mir geht es gar nicht darum, dass jeder Mensch gleichbehandelt werden sollte. Aber man sollte vor jedem Menschen, Respekt haben. Und ihn auch nicht schlecht behandeln. Letztlich sind wir ja alle Menschen und wollen in Frieden leben. Ich verstehe nicht, wieso manche Menschen so einen Hass in die Welt setzen. Im Fall des Rücklichts ging es doch nur um die Sache und dass er keine Strafe bekommt. Es ging nicht um meine Geschichte oder um mich. Offensichtlich fühlte er sich, wie viele andere auch, per se angegriffen von irgendwas und konnte nicht bei sich bleiben.
In einem Nebensatz hast du erwähnt, dass es in der Schule auch eine Rolle gespielt hat. Inwiefern?
Von Mitschülern teils eher so spaßig gemeint. Da fiel schon mal sowas wie: Der kleine Affe.
»Na dann tschüss, du scheiß N****.«
Sagtest du was dazu?
Ja, auch wenn es spaßig rüberkam. Ich sagte ihnen schon, dass sie es nicht übertreiben sollen. In meinem engsten Freundeskreis passt das schon. Da machen wir über alle mal einen Spaß. Aber manchmal in der Schule ging es dann zu weit. Es gab mal eine Situation mit einem Schüler einer anderen Klasse. Ich hätte mir gewünscht, er wäre von der Schule geflogen.
Was ist passiert?
Ich ging kurz vorm Unterricht in die achte Klasse neben uns, um den Schwamm zu holen. Kein Lehrer drin. Ich war zu der Zeit noch in der neunten. Ich fragte also, ob ich kurz den Schwamm haben kann. Den hatte natürlich gerade ein richtiger Clown in der Hand. Er so: Dann hol ihn dir doch. Dann bin ich vorgegangen. Er ließ den Schwamm vor mir fallen. Ich hob ihn auf. Die ganze Klasse hat gelacht. Er fühlte sich sicher ganz cool. Als ich rausging, rief er [Darf ich das sagen?]: Na dann tschüss, du scheiß N****. [Anm. d. Red.: Malik spricht hier von einer Rassismuserfahrung, wo ihm gegenüber das N-Wort reproduziert wurde.] Ich drehte mich um. Es gab bereits zuvor schon drei, vier solcher Aktionen. Dann sagte ich: Das hast du nicht gesagt. Er nur so: Du hast mich schon verstanden, du Neger. Es sagte es halt einfach nochmal. Dann fragte ich ihn, ob es bei ihm noch ganz richtig tickt. Er sagte: Okay, reicht jetzt. Geh raus, Ausländer.
Nein.
Dann drehte ich mich um. Ging zu ihm hin. Habe so getan, als würde ich ihn hauen. Er zuckte natürlich übelst zusammen. Die ganze Klasse lachte ihn auf einmal aus. Dann habe ich nur gefragt: Na, wer lacht jetzt, Feigling? Ich ging raus. Drehte mich nochmal um. Ruft er: Das war mit Absicht, du Neger. Und machte einen Hitlergruß.
Das gibt es doch nicht.
Ehrlich gesagt, habe ich ihn dann auch beleidigt. Du fettes Stück – oder so. Dass du dich nicht schämst. Manche haben dann auch gesagt, dass ich an der Stelle nicht besser war als er. Aber in dem Moment war ich so geschockt. Da musste das einfach raus. Ich hätte ruhig bleiben sollen. Hab nur noch gesagt: Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
Dann bin ich rausgegangen. Erst in meine Klasse. Ein Mitschüler hat mich direkt gefragt: Was los, Malik? Hab’s ihm erzählt. Er hat es gar nicht geglaubt. Dann bin ich direkt zum Schulleiter gegangen. Nach dem Gespräch sollte ich erst zurück in den Unterricht. Nach kurzer Zeit wurde ich dann wieder rausgebeten. Als ich auf den Gang kam, stand der Schulleiter da und der andere heulte.
»Für meine Zukunft wünsche ich mir nicht mehr so viel Rassismus.«
Der Junge?
Ja, der Junge, der mich so beleidigt hatte, lag heulend vor dem Schulleiter und mir. Mir war das völlig egal. Ich hatte ja gesagt, wer zuletzt lacht … Ich habe ihm nur gesagt: Steh mal auf, du Heulsuse. Hab’ ihn noch mal runtergemacht. Der Schulleiter forderte mich auf, mal nicht so zu sein. Da fragte ich mich, ob er verstanden hat, was der Junge da getan hat. Doch der war nur am Weinen und schluchzte: Ich bin kein Neonazi, wirklich nicht. Es war nur ein Spaß. Ich wollte nur noch von ihm wissen, ob, wenn ich ihm wirklich mal eine reinziehe, das dann immer noch so spaßig ist.
Wie ging es danach mit dem Jungen weiter?
Da ich meine zehnte Klasse noch an der Schule gemacht habe, ist er mir noch ein Jahr lang über den Weg gelaufen. Immer, wenn ich an ihm vorbeigelaufen bin, hat er auf den Boden geschaut. Er hat sich sichtlich dafür geschämt. Nach sieben oder acht Monaten habe ich trotzdem bemerkt, dass er sich manchmal noch umdreht und irgendwas flüstert. Als er mal allein war, bin ich auf ihn zugegangen und hab ihm direkt ins Gesicht gesagt: Pass mal auf, wenn du mir noch einmal irgendwas Rassistisches entgegenbringst, dann haben wir ein ganz großes Problem, okay? Dann werde ich nämlich die ganzen Vorurteile, die du mir gegenüber hast, erfüllen. Da war er auf einmal wieder ganz klein. Wenn ich allein war und er mit seinen drei, vier Jungs, dann fühlte er sich ganz groß. Aber unter vier Augen konnte ich ihm dann auch mal sagen, dass er es mir sagen soll, wenn er ein Problem mit mir hat.
Lass uns mal einen Bogen spannen. Du hast über deine Leidenschaft für Fußball gesprochen. Selbst zu spielen. Aber auch die Alternative – Trainer zu sein. Über alltagsrassistische Begegnungen. Du bist Gestalter deiner Zukunft. Was wünschst du dir?
Ich wünsche mir, dass mehr Menschen versuchen, sich in eine andere Person hineinzuversetzen. Wie würde ich mich denn jetzt fühlen, wenn ich für etwas runtergemacht werde, wofür ich eigentlich gar nichts kann? Wie die Hautfarbe. Oder, dass Menschen Flagge zeigen, ein offenes Ohr haben, wenn sie mitbekommen, dass jemand verurteilt wird.
Für meine Zukunft wünsche ich mir nicht mehr so viel Rassismus. Das wünsche ich auch nicht nur mir – sondern jedem. Generell keinen Hass in die Welt zu setzen. Ich kann das nur jedem raten. Letztlich ist man selbst nur von Hass erfüllt, wenn man ihn in die Welt setzt. Ich denke, man sollte sein Leben schon so leben, wie man es möchte, und es genießen.

