Nadine Riebau: »Die Ärzte haben mich für verrückt erklärt.«  

Nadine auf Mallorca

»Heute in Braun?«, frage ich Nadine Riebau als die Leitung nach Mallorca endlich steht. Sie lächelt mich freundlich an. Meine Einstiegsfrage passt wirklich wie Arsch auf Eimer, denke ich. In der gestrigen Story habe ich Nadine mit pink-lila Haaren wahrgenommen, und heute sitzt sie mit dieser wunderschönen braunen langen Mähne vor mir.

»Leben ist Veränderung«, antwortet sie und wir wissen beide, wie krass sich das Leben von Nadine mit der Diagnose Krebs verändert hat. Sie lässt mich an ihrer Geschichte teilhaben und schon während der Vorbereitung auf das Interview war mir klar, das wird äußerst emotional. Von Reels, die die Krebsheilungsreise in neunzig Sekunden zusammenfassen, bis zu provokanten Posts, die triggern und wachrütteln sollen.

Nadine lässt ihre Community mitfühlen, mitfiebern und führt sie durch Momente der absoluten Freude und Verbundenheit, aber auch tiefer Trauer und Verzweiflung. Mit purer Dankbarkeit und Mitgefühl begegne ich dieser Frau, die ihren so ganz eigenen Umgang mit dem Krebs und der Heilung gefunden hat.

 

»Morgens zu überlegen, welche Haare ich trage und mich jeden Tag verändern zu können, liebe ich so sehr.«

 

Nadine mit einer ihrer zahlreichen Perücken
© privat

Haarverlust – ein Makel? Oder eher die Freiheit, jeden Tag in eine neue Rolle schlüpfen zu können.

Das ist spannend. Ich habe heute unter der Dusche darüber nachgedacht, welche Perücke ich heute trage. Mich ohne Perücke zu zeigen, war tatsächlich ein Prozess. Ich fühle mich immer noch nicht wohl mit meinen echten Haaren. Trotzdem zeige ich mich bewusst gelegentlich auf Social Media. Aber auch bei meinen Freunden, meiner Familie, ganz allgemein, wenn ich im Alltag unterwegs bin, gehe ich z. B. auch ohne Perücke einkaufen. Bewusst für mich, weil es mir wichtig ist, dass ich einfach so sein kann, wie ich bin. Ich sehe den Haarverlust nicht als Makel, sondern eher als Ausdruck dessen, was ich erlebt habe. Ich muss mich nicht damit verknüpfen und es muss mir nicht gefallen. Nur weil es jetzt so ist, wie es ist.

Der zweite Teil der Frage trifft zu. Ich weiß nicht, ob du Human Design kennst. Ich bin Manifestorin und liebe Verwandlung und Veränderung. Ich habe gemerkt, es ist ein Riesengeschenk gewesen, dass ich Krebs bekommen habe. Sonst hätte ich es nie ausprobiert, mit so vielen Perücken. Durch diesen Schmerz und die Not bin ich da reingerutscht. Morgens zu überlegen, welche Haare ich trage und mich jeden Tag verändern zu können, liebe ich so sehr.

Manch eine Frau würde dich darum beneiden. Andere sitzen stundenlang beim Friseur für eine neue Haarfarbe. Bei dir: ein Griff in den Perückenschrank.

Ich habe mittlerweile viele Perücken. Wenn ich lange Zeit die und die Farben trage, dann muss ich schon wieder neue holen. Weil ich mir denke: Irgendwie brauche ich mal wieder was Neues. Es gibt kostspielige Perücken, und ich habe auch ein, zwei davon. Die meisten sind aber günstig. Wie soll ich mir das sonst leisten können, mit diesen vielen Farben? Ich habe mal ein YouTube-Video dazu gemacht, weil das Interesse groß war. Viele sprechen mich auch auf bestimmte Perücken an. Nach dem Motto: Die ist aber besonders schön. Dann sage ich, dass ich eine Perücke trage, um denjenigen zu inspirieren und zu sagen, das kannst du auch, wenn du willst.

Verbindest du mit einzelnen Perücken gewisse Gefühle?

Spannend. Ich weiß nicht, ob du den Film »Heute bin ich blond« kennst. Die Hauptfigur hatte auch eine Krebsdiagnose. Sie hat vier oder fünf verschiedene Perücken und dazu entwickelt sie verschiedene Persönlichkeiten. Ich habe mir den angeguckt und fand das so spannend. Es ist ein schöner Film. Unterbewusst passiert das bestimmt. Ich habe auch meine Lieblinge. Es passiert so etwas wie: Ich trage kurz, wenn ich Sport mache oder wenn ich mit meinem Freund schlafe. Ich trage einige Perücken, mit denen ich mich sexy fühle. Oder eben nicht sexy, sondern introvertiert. Je nach Energie und Anlass.

 

»Alles, was passierte, war sehr gegen meine Natur.«

 

Welche Erfahrung veranlasste dich, neue Bilder in deinen Galerien der Angst und Hilflosigkeit aufzuhängen?

Wenn ich über Angst und Hilflosigkeit in den vergangenen zwei Jahren nachdenke, kommt mir als erstes tatsächlich die Krankenhauserfahrung. Und diese Ohnmacht, die passiert, wenn wir ins System kommen, weil wir krank werden. Die Ohnmacht, die sich von der Angst heute in Wut und teilweise Trauer umgewandelt hat. Es greifen viele Gefühle ineinander.

Kannst du die Trauer näher beschreiben?

Es macht mich so traurig, weil ich weiß, ich habe mich schon ein paar Jahre, bevor ich krank geworden bin, mit dem Thema Persönlichkeitsentwicklung und Seelenarbeit beschäftigt. Das ist mein absolutes Passionsthema. Das kennst du vielleicht auch, wenn du irgendwas sehr magst, da tauchst du hin und beschäftigst dich viel damit. Dann bin ich ins Krankenhaus gekommen, obwohl ich mich sehr dagegen gewehrt habe. Es war wichtig, dass das passiert. Ich musste da sein und alles miterleben. Sehen, wie das abläuft. Es gab dort weder Geist noch Seele noch viele positive Dinge für den Körper. Ich will gar nicht diese Wut auf das System haben und sagen, alles ist schlecht. Heute weiß ich, dass es wirklich gute Gründe für die Schulmedizin gibt, gar keine Frage. Aber es gibt viele Sachen, die mir sehr wehgetan haben.

medizinische Bildgebung vom Tumor
Nadines Aufnahme vom PET CT

Was genau?

Du musst dir vorstellen, alles, was passierte, war sehr gegen meine Natur. Ich war auf der Intensivstation kurz vor knapp zu sterben, weil ich kaum Luft bekommen habe. Der Tumor war sehr, sehr groß in meiner Brust. Dann musste ich eine Chemotherapie machen. Morgens gegen sechs kam die erste Tablette und abends um elf oder zwölf die letzte Spritze. Den ganzen Tag Schmerz. Den ganzen Tag Leid. Den ganzen Tag Krankheit. Mir war in dem Moment bewusst, was das mit den Menschen um mich herum macht. Ich konnte ein bisschen gegenlenken, weil ich diese Werkzeuge aus der Persönlichkeitsentwicklung bereits hatte.

 

»Die Ärzte haben mich für verrückt erklärt.«

 

Was konkret hast du getan?

Ich habe viel klassische Musik gehört. Meditiert. Ich habe mir bewusst gemacht, was ich jetzt fühle und denke, um tiefer hineinzugehen. Vieles in mir wurde in dieser Zeit getriggert, was natürlich positiv für mich ist. Aber jetzt stelle ich mir vor, dass so viele Menschen, die dort ebenfalls um ihr Leben kämpfen, diese Tools nicht haben. Das tut mir weh. [Stimme bricht.] Vielleicht werden sie nur kränker, obwohl sie ja gesund werden wollen.  Aber man kommt da rein und gibt seine Mündigkeit ab. Die Ärzte sind die, die jetzt wissen, du bist krank. Dann legst du dich da rein und bekommst all diese vorgesehenen Dinge. Und entweder hast du Glück und beschäftigst dich irgendwie mit dir oder du machst diese Spirale jahrelang mit, bis du stirbst. Das ist mein Antrieb. Nicht zu sagen, macht das nicht. Jeder muss das für sich entscheiden. Ich möchte nicht für jemanden entscheiden, wer welche Therapie in der Schulmedizin macht. Aber du kannst selbst so viel machen. Jeden Tag. Mit jedem Gedanken. Mit jedem Gefühl. Mit jeder Routine in deinem Alltag.

Hast du die Hoffnung, Schulmediziner hören deine Forderungen?

Natürlich habe ich den Wunsch, klar. Aber es ist halt … Ich darf selbst noch mehr daran glauben, dass mehr möglich ist. Die Welt ist so weit, sich zu wandeln. Und da passiert gerade ganz, ganz viel. Auch im System wird einiges passiert. Auf jeden Fall. Ich habe in den Jahren eben erlebt, wie es sich als Staatsfeind Nr. 1 anfühlt.

 

 »Die eigene Meinung zu haben. So viel Mut muss man im System erstmal haben.«

 

Wie meinst du das?

Allein, dass ich hinterfragte … es ging alles rasant. Ich habe meine Diagnose bei einem Krankenhaushalt bekommen. Die Ärzte wollten sofort mit Chemo loslegen. Und ich so: Bitte, nein. Ich gehe jetzt erst mal raus und rufe meine Liebsten an. Dann sortiere ich mich und wir gucken weiter. Egal, wie groß der Tumor ist. Ich war im Krankenhausgarten und habe meine Liebsten zusammengetrommelt. Wir haben gemeinsam überlegt, was wir machen können. Zweit- oder Drittmeinung einholen. Dann bin ich rein zur Ärztin und habe gesagt, ich möchte jetzt erst mal raus.

Und?

Die haben mich für verrückt erklärt, dass ich das will. Dann hatte ich Diskussionen. Unzählige in der ganzen Zeit. Ich musste mit zwei Chefärzten sprechen, die mich überreden wollten, dazubleiben. Die haben mir gesagt, es ist sehr knapp, ich könnte bald sterben. Ich blieb dabei und musste unterschreiben, dass ich in den nächsten Tagen sterben könnte. Ich ging und wollte mich bei anderen Ärzten vorstellen. Manche haben mich nicht mehr angenommen.

Bist du zurück ins Krankenhaus?

Ich habe versucht, es natürlich zu machen. Ohne dass ich wusste, dass es ein Lymphom ist, welches das ganze System betrifft. Ich habe mein Immunsystem geboostet und damit leider auch den Tumor. Das war ein bisschen kontraproduktiv.

Nadine im Krankenhaus
© privat

Wussten die Ärzte es doch besser?

In der Zeit und auch in der Chemo-Zeit habe ich immer hinterfragt. Ich habe mir immer mehrere Meinungen geholt. Die haben nicht gemocht, dass ich da war. Es war schon heftig. Die eigene Meinung zu haben. So viel Mut muss man im System erstmal haben. Und so viele Pillen fressen. Ich liebe die Natur. Ich hatte vom ersten Moment an das Gefühl, es gibt doch etwas, was mir helfen muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich nur vergiften muss. Jetzt bin ich darauf gekommen, dass es darum geht, dass man sein ganzes System anguckt. Ich habe viele Traumata aus meiner Kindheit aufgedeckt. Ich habe geistig viel entdeckt. Was Gefühle ausgelöst hat, die vielleicht kontraproduktiv waren. Mir viel Stress gemacht haben. Da kam viel zusammen. Ich bin der Krankheit sehr dankbar. Aber was nicht sein kann, ist, dass man nicht hinterfragen darf. Man ist halt eine Nummer. Und es geht nach der Leitlinie. Der Tumor ist da. Und los geht es.

 

»Meine Tochter fand mich eklig, weil ich eine Glatze hatte und so dünn war.«

 

Ist der Tumor ein Hilfeschrei deines Körpers gewesen, den du vorher zu lange ignoriert hast?

Ich denke, es gibt zwei Gründe, warum mir das passiert ist. Einer ist sehr spirituell. Der andere ist genau das, was du angesprochen hast. Als ich mich kurz sortiert hatte, ein paar Stunden nach der Diagnose, hat mein Geistführer gesagt: »Es ist eine große Aufgabe. Sie ist wichtig für deinen Weg. Du schaffst das.« Es kam immer wieder. Wir leben vorwärts und verstehen rückwärts. Für meinen Weg war das Gold wert. Menschen hören mir zu. Ich verstehe sie, wenn sie bestimmte Dinge haben und auf ihrem Weg sind. Das ist genau das, was unsere Seele will. Wir wollen leben und verstehen. Die Krankheit war ein Studium in kürzester Zeit. Schmerz bewegt uns.

Das heißt, Hilflosigkeit und Trauer schlugen kurz nach der Diagnose in Hoffnung um?

Ja. Das war meine Aufgabe.

Tatsächlich so früh?

Absolut. Die Verbindung meiner Seele mit dem Weg und meinen Aufgaben, die ich hörte, hat mich sehr in der Zeit getragen. Auch diese Gefühle, die ich nie wegstoßen wollte. Vermeintlich schlechte, auch tiefe Gefühle, die uns Dinge zeigen. Das war mir schon bewusst, seitdem ich mich damit beschäftige. Ich bin nicht scheu, den Schmerz auszuhalten. Wut zu haben. Angst zu haben. Scham. Schuld zu fühlen. Weil ich genau weiß, das ist eine Phase und mein Körper, mein System will mir irgendwas gerade sagen. Ich gucke dahin. Durch diesen Aspekt von: Es ist eine Aufgabe und ich weiß, ich schaffe es, kann ich das verändern.

Haare schneiden vor der Chemo
© privat

War die Zuversicht auch im Krankenhaus präsent? Oder eher Zweifel? Mutlosigkeit?

Gerade im Krankenhaus brauchte ich Zuversicht. Dort, wo ich nicht in die Natur durfte, habe ich das schlimme Essen gekriegt. Meine Mama kam jeden Tag und brachte mir gesunde Sachen. Den ganzen Tag Schmerz und Leid. Ich musste so dagegen arbeiten. Manchmal habe ich gedacht: kein Bock mehr, was soll ich hier noch? Alles, was mich ausmacht, was ich bin, es ist alles gegen mich. Wie soll ich das schaffen? Ich mache jetzt eine Chemotherapie, super. Also ja, es gab schon Momente der Verzweiflung. Gerade auch während der Chemo, als ich mich ständig übergeben und nur noch 43 Kilo gewogen habe. Meine Tochter fand mich eklig, weil ich eine Glatze hatte und so dünn war. Ich konnte sie verstehen. Es gab diese Momente, in denen ich mir dachte, diese Aufgabe will ich nicht mehr. Aber ich hatte den Entschluss, gesund zu werden.

 

»Ich habe die Diagnose drei Tage vor der Auswanderung bekommen. Die Möbel waren im Transporter auf dem Weg nach Mallorca.«

 

Nadine, du sprachst vorhin von zwei Gründen, warum die Erkrankung ein Hilfeschrei deines Körpers war. Lass uns noch an dem Zweiten teilhaben.

Ich habe vor der Erkrankung als Coachin gearbeitet, war selbstständig und im Bereich Hochsensibilität und »Die eigene Berufung finden«. Ich habe mich auch intensiv mit mir beschäftigt, kannte ja die Tools. Als die Diagnose kam, war ich so sauer auf mich selbst, weil ich gedacht habe: Hä, du hast doch deine Werkzeuge, guckst, reflektierst und dennoch ist dir das nicht aufgefallen. Warum? Während der Krebstherapie hatte ich Psychologen, mit denen ich dann tiefer rangegangen bin. Erst dabei habe ich gemerkt, die ganz tiefen Dinge, die finsteren Sachen wollte ich wohl nicht sehen.

Das liebe Unterbewusstsein.

Ja, es ist so schlau. Das schiebt in die letzte Ecke, was uns zu doll wehtut. Schätze, es war ein Schutzmechanismus. Das größte Thema für mich war mein Papa, der sich nie wirklich für mich interessiert hat. Das war der erste Auslöser, der sich als Glaubenssatz manifestiert und alle möglichen Dinge mit dem Thema Anerkennung ausgelöst hat. Ich war sehr traurig darüber als Jugendliche als Kind. Er hatte die Zeit und ich habe ihn dennoch nur ein paar Mal getroffen, aber wir haben nie einen Anknüpfungspunkt gefunden. Später, als ich mich mit Persönlichkeitsentwicklung beschäftigt habe, kam der Moment, an dem ich mich gefragt habe, warum soll ich mich mit ihm auseinandersetzen. Er war nie in meinem Leben, was soll das jetzt verändern, wenn er jetzt in meinem Leben ist. Aber unsere Eltern sind nun mal unsere Eltern und hängen mit dem inneren Frieden oder eben mit Trauer zusammen. Ich habe die Trauer über die fehlende Bindung zu meinem Vater irgendwann weggeschlossen. Während der Krebsheilungsreise habe ich ihm einen Brief über sieben Seiten geschrieben und alles rausgehauen. Dann haben wir gesprochen und heute haben wir richtig schönen Kontakt. Wir sind immer noch voll unterschiedlich, aber ja, heute sind wir verbunden und ich habe vor allem Frieden damit. Das ist ein schönes Gefühl. Hätte ich vorher nicht gedacht.

Nachdenkliche Nadine Riebau
© Anika Römer

Du sprachst vorhin von einem Geistführer. Wie kann ich ihn mir bildlich vorstellen?

[Schließt die Augen.] hmm … also ich bin kein visueller Typ, deswegen kann ich dir nicht wirklich ein Bild beschreiben. Es ist eher eine Szene, in die ich mich versetze. Ich gehe spazieren. Setze mich auf eine Wiese und schaue mir die Umgebung an. Stelle eine Verbindung zum Ort her. Ich sehe ein bisschen Gras und Schmetterlinge, erkunde mit meinen Händen, wie sich der Boden anfühlt. Mehr und mehr komme ich dort an. Dann stehe ich auf und gehe ein Stück. Dort ist ein Wald und dann sehe ich meinen Geistführer dort stehen. Wir machen einen Spaziergang, um über Themen zu sprechen, die jetzt wichtig sind. Diese Verbindung stelle ich relativ häufig her, weil sie mir guttut.

Nadine, du lebst auf Mallorca, der Naturverbundenheit wegen?

Wenn wir die Sonne einschließen, ja. Ich habe die Diagnose drei Tage vor der Auswanderung bekommen. Die Möbel waren im Transporter auf dem Weg nach Mallorca. Das hat das Universum super eingefädelt, denn ich habe dann dafür gesorgt, dass ich eine ambulante Chemotherapie habe. Bin immer hin- und hergeflogen.

Zwischen den Chemotherapien gependelt?

Genau, ich bin zwischen den Chemotherapien hin- und hergeflogen. Die Sonne hier tat gut und überhaupt, es ist nicht nur die Natur, sondern vor allem die Entspanntheit der Menschen. Das alles hat mir sehr geholfen. Ich bin ein sehr feinfühliger Mensch. Ich glaube, du bist auch ein sensibler Mensch.

 

»Nummer soundso hat noch viereinhalb Jahre bis zur Heilung. Mein Tumor ist zurückgegangen. Ich bin gesund.«

 

Oh ja …

Das hat alles Vor- und Nachteile. Wenn der Spanier irgendwas machen soll, dann dauert das halt auch ein bisschen. Sie sind sehr entspannt. Es ist Leben und es ist auch Siesta. Ich bemerke den Unterschied extrem, wenn ich in Deutschland bin, z. B. im Straßenverkehr. Obwohl ich in meinem eigenen Auto sitze, fühle ich die Menschen um mich herum, spüre deren Stress. Es ist so, wie es ist, und mir ist das bewusst. Ich kann damit arbeiten. Warum sollte ich nicht an einen Ort gehen, wo ich nicht immer daran arbeiten muss? Es ist halt entspannter und die Sonne … wenn sie rauskommt, bin ich glücklicher. Ich mag es warm. Aber ich vermisse die deutschen Wälder, muss ich sagen.

Waldbaden ist da ein gutes Stichwort. Wald haben wir hier zum Glück auch. Da zieht es mich auch regelmäßig hin, gerade wenn ich merke, es ist viel los, dann ab in den Wald, an den See. Wasser und Wald zusammen sind für mich die perfekte Mischung.

Ich fühle das sehr und ich empfinde das auch so, gerade wenn ich in der Großstadt bin. Vielleicht hat es wirklich etwas mit der Feinfühligkeit zu tun, dass ich die Dinge um mich herum so aufsauge und innerlich das Gefühl habe, damit arbeiten zu müssen. Ich verstehe das Gefühl, sich davon freimachen zu wollen, denn du schaffst damit in deinem Körper auch gewisse Freiheiten für andere Dinge, die dich positiv erfüllen.

Sind solch feinfühlige Menschen Opfer ihrer eigenen Sensibilität?

Würde ich nicht sagen. Ich glaube eher, dass wir eine Aufgabe mitbekommen haben. Wenn wir in Räume kommen, können wir sie reinigen oder sie besser noch harmonisieren.

Unheimlich schöne Vorstellung. Nicht jeder möchte das …

Das ist die Herausforderung, es den anderen nicht aufzuzwingen und trotzdem mitzugeben. Ich glaube, dass wir sensiblen Menschen oft auch ein Gespür dafür haben, wer was braucht. Ich kann Räume sehr, sehr harmonisch machen und merke, wie gut ich zwischen Menschen vermitteln kann.

Hast du manchmal Angst, dass der Krebs zurückkommen kann?

Ich glaube … [überlegt] … ich muss fühlen, ob das wirkliche Angst ist. Also mir ist bewusst, dass er jederzeit zurückkommen kann. Ich möchte mich nicht darin verhaften, zu sagen, ich habe Angst davor, denn es kann immer irgendwas passieren. So ist das Leben. Ich kann rausgehen, es kann jetzt ein Krieg ausbrechen. Ich werde von einem Bus überfahren. Kann eine andere Krebsart kriegen. Das kann jedem irgendwie passieren. Ich vertraue darauf, dass ich in dem Moment, wenn etwas kommt, die richtigen Lösungen parat haben werde.

 

»Das war mein Weg und das war wichtig.«

 

Nadine Riebau selbstbewusst auf Mallorca
© Anika Römer

Also, bist du eher im Vertrauen?

Ja. Dennoch gibt es Dinge und Traumata, an denen ich arbeiten darf, die noch mit dem Krankenhaus und dem Krebs zu tun haben. Ich teile sehr offen über Instagram von meiner Geschichte und begleite gerade ein paar Frauen, die selbst eine Diagnose bekommen haben. Als ich in meiner Story darüber gesprochen habe, geheilt zu sein, wurde ich damit konfrontiert, dass dies nicht wahr sei, weil man in der Schulmedizin erst als geheilt gilt, wenn der Krebs fünf Jahre lang nicht zurückgekommen ist. So lange ist man in Remission. Ich sträube mich dagegen. Das ist für mich nicht wahr, und ich finde das ganz schlimm. Das ist wieder typisch für das System. Denn wenn ich sage, ich bin in Remission, fühlt es sich für mich so an, als würde ich darauf warten, dass er zurückkommt. Ich bin wieder nur eine Nummer im System. Und Nummer soundso hat noch viereinhalb Jahre bis zur Heilung. Mein Tumor ist zurückgegangen. Ich bin gesund. Alles ist gut und ich gehe weiter und was dann passiert, wird sich zeigen.

Auf Instagram hast du folgendes Zitat gepostet: Die Wunde ist der Ort, an dem das Licht in dich eindringt. Magst du dazu ein bisschen was erzählen?

Das ist so schön. Es bedeutet, dass wir manchmal nicht genau hingucken, was in uns passiert. Was wir vielleicht heilen dürfen. Wenn wir eine Wunde haben, also einen großen Schmerz, und uns entscheiden, sie, genauer gesagt ihn anzuleuchten oder zu bearbeiten, ist es ein großes Geschenk für uns. Dadurch kommt Licht rein und wir entdecken uns. Es geht nicht darum, sich zu verwandeln. Doch wir kommen immer mehr zu unserem Kern. Wie eine Zwiebel, deren Schichten wir abschälen. Und das ist so schön, sich selbst zu entdecken und mehr und mehr zu verstehen, warum bin ich eigentlich hier, wie kann ich mich mit den Menschen und all dem, was mir so passiert, verbinden.

Du sprichst von dieser inneren Alchemie. Wenn du mal rein spürst, was genau hat sich durch diese Erkrankung für dich in Gold verwandelt?

Da gibt es so vieles. Also einmal sind es die Perücken. Die Verknüpfung zu: Ich mag Veränderung und Verwandlung. Dadurch, dass ich bereit war, hinzugucken, das Licht reinzulassen, ist das passiert. Obwohl ich zuvor mit Hochsensibilität gearbeitet habe, konnte ich besser verstehen, wie sensibel ich bin. Dass ich nicht ins System reingepasst habe. Durch diese fehlende Verbindung zum System sind so viele schlimme Glaubenssätze in mir entstanden. Ein Beispiel: die Schule. Es war mir viel zu laut und zu stressig. Ich konnte mich nicht konzentrieren, hatte dadurch schlechte Noten, zack, ich dachte, ich sei dumm. Heute weiß ich: Es hat alles einen Grund, ich bin da gar nicht sauer. Das war mein Weg und das war wichtig.

 

»Du hast noch nicht die Macht, schläfst noch, wie man das in der spirituellen Bubble gerne mal sagt.«

 

Beeinflusst deine Erfahrung die Schulzeit deiner Tochter?

Ja, schon, obwohl sie nicht so sensibel ist wie ich. Sie fühlt auch sehr stark, was richtig ist und was nicht. Hier auf Mallorca ist sie in der Waldorfschule. Das ist nicht perfekt, aber es ist viel näher an dem, was ich mir vorstelle und sogar hier noch besser als in Deutschland. Sie war zuvor in Deutschland in einer Waldorf-Kita. Hier haben sie Fächer, wie Gemüse anbauen.

Wow.

Sie lernt gerade drei Sprachen, kann besser Spanisch sprechen als ich. Sie machen Handarbeit, viel Kunst und Musik. In der ersten Klasse lernen sie die Buchstaben z. B. indem sie Blätter nehmen und Buchstaben legen. Alles schön, mit der Natur, und das ist wirklich toll.

Nadine Riebau auf Mallorca
© Anika Römer

Nadine, wir leben erst, wenn wir alles fühlen. Ein weiteres Zitat auf Insta, bei dem ich an eine Frau denken musste, die mir vor einiger Zeit erklärte, sie sei noch nie verzweifelt gewesen. Lebt sie nicht, weil sie nicht alles gefühlt hat?

Wow, interessante Frage. Das ist eine provokative Aussage von mir und ich mache die auch gerne, weil ich damit Menschen triggern und aufwecken möchte. Wenn du nur existierst, dann bist du nicht dein eigenmächtiger Herr, also der Schöpfer in dir. Du hast noch nicht die Macht, schläfst noch, wie man das in der spirituellen Bubble gerne mal sagt. Du bist halt einfach da und lässt dich vom Wind hin und her wehen, von den Umständen und von Dingen, die passieren. Du kennst dich selbst nicht, du weißt nicht, wie du mit deinen Gefühlen umgehst. Du weißt nicht, dass du Gedanken hast, mit denen du was machen kannst, sondern du bist einfach da. Das ist das, was ich damit meine. Wenn ich mich mit meinen Gefühlen beschäftige und auf einmal sehe, boah, da ist eine Wut, was will die mir sagen, ich muss irgendwie handeln, da darf sich irgendwas verändern. Ich kann nicht sagen, ob jeder alle Gefühle fühlen muss, aber ich glaube, dass viele Menschen manche Dinge nicht fühlen, weil sie sich noch nicht damit beschäftigt haben.

Ich glaube, wir haben alle diese Palette an Gefühlen in uns, auch wenn wir nicht immer bereit sind, jede Tür zu öffnen, weil unser Unterbewusstsein uns schützt. Trotzdem kann es sehr heilsam sein, Türen zu öffnen – manchmal besser in Begleitung.

Das hast du so schön gesagt. Ich wünsche mir so sehr, dass die Kinder schon in der Schule lernen, mit Gefühlen umzugehen. Es ist auch unsere Verantwortung als Eltern. Den Kindern zu zeigen, dass, wenn sie an einen Schmerz stoßen und Angst ausgelöst wird, sich hinschauen lohnt, auch wenn es wehtut.

Nadine, spür doch mal rein, wie deine Erfahrung dich geprägt hat und was du den Menschen in Zukunft mitgeben möchtest.

[Schließt die Augen. Atmet tief ein.] Heute trage ich die Erfahrung in mir, dass wahre Heilung nicht linear verläuft, sondern lebendig, fühlend, in Bewegung. Ich sehe mich als Brücke zwischen den Welten – zwischen Körper und Geist, zwischen Wissenschaft und Intuition, zwischen altem System und neuer Zeit. Ich spreche von Seelenbewusstsein, weil ich glaube, dass echte Veränderung im Inneren beginnt – in der Verbindung zu uns selbst, zur Natur, zum Leben. Für die Zukunft wünsche ich mir Räume, in denen Wahrheit fließen darf – nicht als Konzept, sondern als gelebte Erfahrung. Es geht mir darum, nicht nur als »die mit dem Krebs« gesehen zu werden – sondern als Frau, die daraus eine neue Kraft geboren hat. Eine Kraft, die verbindet, erinnert und heilt.

Das könnte dir auch gefallen

Datenschutz-Übersicht
Anja Jahnke Logo

Wenn Sie diese Websites besuchen, können Daten in Ihrem Browser gespeichert oder abgerufen werden. Diese Speicherung ist häufig für die Grundfunktionalität der Website erforderlich. Die Speicherung kann für Marketing, Analyse und Personalisierung der Website verwendet werden, beispielsweise zum Speichern Ihrer Präferenzen. Datenschutz ist uns wichtig, daher haben Sie die Möglichkeit, bestimmte Arten der Speicherung zu deaktivieren, die für die grundlegende Funktion der Website möglicherweise nicht erforderlich sind. Das Blockieren von Kategorien kann sich auf Ihre Erfahrung auf der Website auswirken.

Unbedingt notwendige Cookies

Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können. (immer aktiv)

Tracking Cookies

Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.

Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.

Diese Website verwendet die folgenden zusätzlichen Cookies:

  • Google Analytics