Meine Vision: »Es ist an der Zeit, andere Menschen sichtbar zu machen.«

Meine Vision: Es ist an der Zeit, andere Menschen sichtbar zu machen.

»Hallo Anja!« Ich grinse meinen Bildschirm an. Vor mir eine Liste mit Fragen – an mich selbst.
»Bist du bereit für das Experiment?«, frage ich mich und drücke auf Aufnahme in der Voice-Recorder-App. »Check!« Und schon geht’s los.

Nach dem Auftakt-Interview mit Mareen Weden erreichten mich mehrere Nachrichten:
Warum heißt der Blog »Die Galerie deines Lebens«? Was steckt wirklich dahinter?
Und: Was willst du damit eigentlich erreichen?

Diese Fragen ließen mich nicht los – also habe ich mich selbst interviewt.
Erst war’s komisch. Dann ehrlich. Tiefgründig. Und am Ende flossen Tränen.
Tränen wegen der Erinnerungen, die hochkamen, als ich den Blick in meine eigene Galerie wagte. Aber auch Tränen des Stolzes – weil ich endlich Klarheit über meine Vision habe.
Eine Vision, die ich heute mit dir teile.

Es geht nicht nur darum, mit sich selbst in Verbindung zu kommen – sondern auch darum, mehr Verbindung zu anderen Menschen zu spüren. Ich möchte Menschen dazu einladen, sich mit ihren inneren Stimmen und Gefühlen auseinanderzusetzen. Das tue ich seit einigen Jahren mit meinen Büchern für Kinder und Erwachsene, auf Lesungen und im Austausch mit meinem Publikum. Und ab jetzt auch mit diesem Blog, in dem ich ganz unterschiedlichen Menschen eine Bühne biete – für ihre eigene Gefühlsgalerie.

Es werden weitere Projekte folgen, die alle in eine große Vision münden. Dazu natürlich zu gegebener Zeit mehr.

Jetzt lade ich dich ein:
Mach dir einen Kaffee oder Tee, lehne dich zurück – und begleite mich auf einem sehr persönlichen Spaziergang durch meine eigene Galerie. Vielleicht erkennst du in einem der Räume auch ein Stück deiner Geschichte wieder.

 

Triggerwarnung

Bevor du liest:
Meine Geschichte enthält erschütternde Passagen – unter anderem zum Thema Suizidgedanken.
Wenn du dich aktuell emotional instabil fühlst oder selbst mit suizidalen Gedanken kämpfst,
lies diesen Text bitte nicht allein – und hole dir unbedingt Unterstützung.
Du bist nicht allein. Hilfe findest du z. B. unter www.telefonseelsorge.de oder telefonisch unter 0800 111 0 111.

 

 

»Mich hat zutiefst verzweifeln lassen, dass ich selbst die Kontrolle über mich verloren habe.«

 

»Liebe rein, Scheiße raus«, ein Kinderbuch über Wut, ein Thriller und jetzt der Blog über Gefühle. Mal ehrlich, Anja, weißt du eigentlich, was du willst?

Das ist eine ausgezeichnete Frage. Für den einen oder anderen mag es sprunghaft wirken. Letztlich führen all diese Erfahrungen dennoch dazu, dass ich heute ganz genau weiß, was ich will. Meine Vision und mein Wirken sind keinem Genre zuzuordnen – ebenso glaube ich, dass auch Gefühle kein Genre brauchen. Sie sind einfach allgegenwärtig. In Beziehungen, in unserer Kindheit, auch in Abgründen. Überall tun sich Gefühle auf und es geht gar nicht darum, was ich mache, sondern warum. Um herauszufinden, was ich zukünftig tun will, erlaube ich mir, Erfahrungen zu sammeln. Dabei stellt sich im Nachgang manchmal heraus, dass ich in manchen Bereichen, zum Beispiel beim Thrillerschreiben, nicht intensiv bleiben möchte. Das Schöne an meiner neuen Freiheit ist, mir die Erlaubnis zu geben, mich auszuprobieren. Genau das lebe ich jetzt gerade mit meinem Blog »Die Galerie deines Lebens« aus.

Illustration aus Gewittergefühle
© Johanna Spiegelhauer

Was ist das Besondere an »Die Galerie deines Lebens«?

Das Besondere ist, dass es in meiner neuen Blogreihe nicht mehr nur um meine Geschichte geht. Im Gegenteil. Ich lasse einmal im Monat ganz unterschiedliche Menschen zu Wort kommen, interviewe Menschen mit herausfordernden Themen oder aber auch solche, die großes Interesse daran haben, ihre eigene Galerie mit mir zu erkunden. Ich lade im Gespräch dazu ein, zu reflektieren, einzelne Türen auf dem langen Gang der Gefühle zu öffnen und sich die Bilder dahinter anzuschauen. Gemeinsam werfen wir einen Blick auf Erlebtes oder Begegnungen. Ich glaube fest daran: Je besser ich meine Gefühlswelt kenne und die Situationen, die mit einzelnen Gefühlen verbunden sind, umso eher verstehe ich, dass in neuen Situationen ähnliche Gefühle getriggert werden. Unser Körper erinnert sich und reagiert mit Emotionen. Je besser ich meine Gefühlslage kenne, umso verständnisvoller und liebevoller kann ich mit mir umgehen.

 

»Meine Augen tränengefüllt, als das Bewusstsein für diese belastende Situation kam.«

 

Aus Gewittergefühle
© Johanna Spiegelhauer

Wie konkret entstand die Idee zur »Galerie deines Lebens«?

Dazu muss ich ein wenig ausholen. Im Urlaub auf Kreta erzählte mir mein Sohn, dass er im nächsten Schuljahr eine Strichliste führen wird. Ich fragte ihn, was er damit meint. Dass er von einigen Mitschülern gelegentlich geärgert wird, wusste ich, aber mir war nicht bewusst, wie sehr es ihn belastet. Er erklärte mir, dass er mit dieser Liste zählen werde, wie oft die Kinder ihn dumm nennen. Er und ich am Strand. Meine Augen tränengefüllt, als das Bewusstsein für diese belastende Situation kam. Dieses Bild hängt auch in meiner Galerie der Verzweiflung. Ich war in dem Moment so geschockt. Nachdem ich mich mit meinem Mann besprochen habe, stand für uns fest, unsere Aufgabe ist, unser Kind zu bestärken. Wir waren uns einig, dass wir die Außenwelt nicht verändern können. Ein sehr einprägsamer und hilfreicher Gedanke, der uns immer begleitet. Mein Schwiegervater pflegte in Konflikten immer wieder zu betonen: Man kann den anderen Menschen nicht verändern, sondern nur seine eigene Einstellung ihm gegenüber.

Ihr habt also bei eurem Sohn angesetzt?

Ja, auch er musste verstehen, dass er auf sich schauen muss. Wir wollten ihm zu einem guten Gefühl verhelfen. Ihn vor allem auch aus seiner Hilflosigkeit herausholen. Was er dem Grunde nach mit der Idee, diese Liste zu führen, schon selbst getan hat. Aktion, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Er hat nach Lösungen gesucht, wie er das, was ihm widerfährt, nach außen sichtbar machen kann, denn während die eigene Unzufriedenheit stieg, sank die Lust, zur Schule zu gehen, immer weiter. Irgendwann nachts hatte ich den Impuls, dass es ein herausforderndes Thema für ein Kinderbuch wäre. Sicher geht es nicht nur meinem Sohn so, sondern vielen anderen Kindern auch. Statt die Gefühle wegzudrücken, sollten wir genau hinschauen und die Lösung in uns suchen. Dann habe ich meinem Sohn davon erzählt. Es hat ihn sehr berührt, dass ich die Idee habe, dieses Projekt auch und vor allem gemeinsam mit ihm zu gestalten. Ich glaube, in seiner Galerie der Eifersucht hängt nämlich das Cover meines ersten Buches.

 

»Die Herausforderung besteht oftmals darin, zu ergründen, welche Gefühle unter der Wut liegen.«

 

Anja Jahnke Autorin Liebe Rein Scheiße Raus CoverWarum?

Das erste Buch ist meinem Jüngsten gewidmet. Mit seiner Wut hat er mir damals in der akuten Phase meiner Erschöpfung und Depression den Spiegel vorgehalten. In Interviews, auf Lesungen und auch zu Hause habe ich immer wieder betont, dass er damit zu meinem kleinen Retter geworden ist. Er stand damit schon sehr im Fokus. Das hat meinen anderen Sohn eifersüchtig werden lassen. Ich kann das im Nachhinein nachvollziehen. Er fühlte sich einfach nicht mitgenommen. Ich bin sehr dankbar, dass er es mir gegenüber äußerte. Außerdem hatten wir dann dieses gemeinsame Buchprojekt »Gewittergefühle – Warum immer ich?«, wo von vornherein klar war, dass nur wir zwei daran arbeiten. Nicht umsonst hat unsere Hauptfigur Jim einen kleinen Leberfleck neben dem linken Auge. Den hat mein Sohn auch. Jedenfalls haben wir dann die Geschichte entwickelt. Mir war es wichtig, das Ganze vorab einmal psychologisch prüfen zu lassen, weil ich um Himmels willen mit dem, was ich da schreibe, kein Unheil anrichten wollte. Einerseits ist es eine Geschichte und mein Gedankengut, na klar. Dafür lasse ich mich nicht verurteilen, aber gerade im Kinderbuchbereich, finde ich, ist sehr viel Sensibilität gefragt. Gerade wenn es um solch schwierige Themen geht, wie Ausgrenzung, Mobbing oder den Mut, zu sich zu stehen.

Mareen Weden
© Maria Hackethal

Wen hast du zu Rate gezogen?

Im Entstehungsprozess vorwiegend meine enge Vertraute Mareen Weden. Sie ist Achtsamkeitslehrende und Psychologin. Mit ihr habe ich das Auftakt-Interview zur neuen Blogreihe geführt, um einen Einblick zu geben, warum der achtsame Umgang mit sich selbst im Alltag so wichtig ist. Sie gab mir einen wichtigen Impuls, der der Geschichte mehr Tiefe verlieh und auf dem nun der Blog fußt. Eine große Rolle spielt die Wut, die sich bei Jim in Form eines Gewitters im Bauch zusammenbraut. Mareen wies darauf hin, dass sich Wut schnell zeigt und gut spürbar ist. Die Herausforderung besteht aber oftmals darin, zu ergründen, welche Gefühle darunter liegen. Diese konkrete Frage habe ich in der Geschichte und später auch mit Hilfe der Illustratorin Johanna Spiegelhauer umgesetzt. In Jims Gefühlswelt öffnet sich plötzlich ein neuer Raum. Eine Treppe führt hinab in einen dunklen Gang. Entlang dessen befinden sich unzählige Türen. Jede Tür trägt den Namen eines Gefühls. Dahinter jeweils eine »Galerie«. Gemeinsam mit seinem Krafttier erforscht Jim, welche Gefühle oder Situationen mit der Wut im Zusammenhang stehen. Die Geschichte schreitet voran. Jim öffnet zwei Türen. Schaut sich in seinen Galerien um. Es hängen nur wenige Bilder an der Wand. Das ist auch immer ein schöner Moment in den interaktiven Grundschullesungen, wenn ich den Kindern sage, dass sie noch ganz viel Platz haben, um Bilder und Eindrücke zu sammeln. Meine Galerie oder die der Lehrerinnen und Lehrer sind da schon deutlich voller.

Zurück zur Frage: Wie ist aus dieser Geschichte die Idee für deinen Blog entstanden?

In unseren interaktiven Lesungen mit Kindern haben Sarah Lippasson und ich erlebt, wie heilsam und positiv es auf Menschen wirkt, schwierige Geschichten zu teilen. Gehört, ohne dabei verurteilt zu werden. Es gab z. B. in einer Klasse ein Mädchen, das sich von ihren Mitschülerinnen ausgeschlossen fühlte. Während wir über unsere Trauergalerien sprachen, vertraute sie sich ihrer Klasse an. Die Lehrerin war zunächst irritiert und konnte dann gezielt auf das Mädchen eingehen und mit ihr sprechen, um eine Lösung zu finden. Ich erinnere mich auch an eine unserer ersten Lesungen.

Sarah und ich
© Elisabeth Struck

Hier war es der Blick in die Galerie der Einsamkeit. Als ich erfragte, wen oder was die Kinder vermissen, erzählte ein Mädchen, dass ihre Mama in jüngster Vergangenheit verstorben sei. Sie vermisse sie sehr. Die Lehrerin vertraute uns nach der Lesung unter Tränen an, dass das Mädchen sich zuvor nie in der Klasse dazu geäußert habe. Mit großer Dankbarkeit spürte sie, dass es nun an der Zeit ist, mit dem Mädchen ins Gespräch gehen zu können. Ihr in gewisser Weise nun intensiver beizustehen. Das hat uns sehr berührt und bestärkt meine Vision, dass wir schon durch Zuhörenden Toleranz und Verständnis für den jeweils anderen entwickeln. Empathischer miteinander umgehen können. Meiner Meinung nach fehlt das zum Teil in unserer Gesellschaft. Sich die Mühe zu machen, dem anderen zuzuhören. Die Neugier, nachzufragen. Die Chance, seinen eigenen Horizont anhand anderer Lebensweisen zu erweitern, wenngleich man selbst solche Erfahrungen nicht hat oder haben will. Mitgefühl und Akzeptanz für das Leben der anderen. Ohne Bewertung und Ablehnung. Verbundenheit schaffen.

 

»Ich spiele zwar die Hauptrolle, habe aber gleichzeitig so viel Distanz, dass es manchmal surreal scheint, was mir passiert ist.«

 

Was erwartet den Lesenden in »Die Galerie deines Lebens«? Lass uns gemeinsam ein paar deiner Galerien anschauen. Wenn du die Tür zur Verzweiflung öffnest, was tut sich in dir auf?

Mich hat zutiefst verzweifeln lassen, dass ich selbst die Kontrolle über mich verloren habe. Signale meines Körpers habe ich lange Zeit ignoriert, viele Jahre, bis ich irgendwann an einem Punkt war, an dem ich mich selbst nicht mehr gespürt habe. Ich fühlte mich wie eine Hülle, die dem Grunde nach nur noch funktionierte. Das Selbstbild der Powerfrau, die einfach alles schafft, die für alle da ist, die grenzenlose Energie hat – das war ein Trugbild. Ich wollte mir die Notwendigkeit nicht eingestehen, meine Akkus aufzuladen. Die tiefste Verzweiflung kam in einem Moment, in dem ich plötzlich das Gefühl hatte, keine Kontrolle mehr zu haben und mein Leben beenden zu wollen.

Wie fühlt es sich für dich an, Jahre nach dem großen Knall darüber zu sprechen?

Rückblickend ist es für mich wie ein Film. Ich spiele zwar die Hauptrolle, habe aber gleichzeitig so viel Distanz, dass es manchmal surreal scheint, was mir passiert ist. Dieses Gefühl hat sich so tief in mir verankert, dass jetzt alle Alarmglocken schrillen, wenn ich auch nur die Tendenz habe, wieder so abzudriften und mich zu übernehmen.

Kinder, Retter
© Privat

Gibt es ein konkretes Bild, das du damit verbindest?

Genau genommen sind es zwei Bilder, die symbolisch für diese Zeit in meiner Galerie der Verzweiflung hängen. Auf dem einen sehe ich meinen Körper am Tisch im Wohnzimmer sitzen. Regungslos. Der Tisch ist reich gedeckt. Meine Familie sitzt bei mir. Alle freuen sich, lachen, sind glücklich. Neben mir steht eine zweite Version meiner Selbst. Transparent. Wie ein Geist. Die linke Hand auf der Schulter der sitzenden Anja. Das Bild steht für den Wunsch, mich aus dieser Verzweiflung zu befreien und nicht mehr nur diese Hülle zu sein. Mich wieder zu spüren.

Und das Zweite?

Ein Foto von meinem ehemaligen Auto. Ich fuhr zu dieser Zeit einen roten VW T5. Darin ein Foto meiner Kinder. Es hat mir in dieser tiefen Verzweiflung damals das Leben gerettet.

 

»Anfangs ging es mir nur um den kreativen Input und nicht darum, meinen Lebensunterhalt in Zukunft mit dem Schreiben zu verdienen.«

 

Wie hast du es geschafft, wieder in Verbindung mit dir zu kommen?

Es folgte eine Zeit aus vielen Hochs und Tiefen. Eine Zeit, die geprägt war von Selbstzweifeln, von viel Traurigkeit, grenzenloser Wut auf mich und die Welt, meinen Umgang mit mir und meinem Leben. Und Angst. Angst, mein Gesicht im Außen zu verlieren, aber auch meine Familie zu verlieren. Eine Zeit, die geprägt war von unterschiedlichen Therapien und Coachings, die ich brauchte, um meinen ganz eigenen zufriedenen Weg zu finden. Das waren die Hochs. Meine Lichtblicke. Neue Impulse, die mich hoffen ließen. Dabei hat mich meine Intuition immer begleitet, auf die ich lange Zeit nicht gehört habe. Das Vertrauen in sie zu stärken, hat mich wieder in Verbindung mit mir gebracht.

Schreiben als Therapie
© Bonny McKenzie

Was hat noch geholfen?

Meine Hausärztin bat mich recht früh, mir ein Hobby zu suchen. Etwas, das nur für mich ist. Was sie mit dieser einfachen Aufforderung ausgelöst hat, ist ihr vielleicht gar nicht bewusst. Ich habe mir zur Inspiration einen Katalog für Fernlehrgänge schicken lassen. Kinder- und Jugendbuchautorin sprach mich sofort an. Mit meinem Mann hatte ich bereits ein paar Geschichten für unsere Kinder geschrieben. Für mich ergab sich mit diesem Lehrgang eine neue Herausforderung. Anfangs ging es mir nur um den kreativen Input und nicht darum, meinen Lebensunterhalt in Zukunft mit dem Schreiben zu verdienen. Wann immer ich konnte, löste ich die Aufgaben am Ende der Lehrhefte, indem ich über meine persönliche Geschichte schrieb. Das war zwar nicht für Kinder, aber ich erhielt sehr viel positives Feedback für meine Texte. Irgendwann reifte die Idee, ein Buch zu veröffentlichen. Daraus wurden dann in den vergangenen vier Jahren drei Bücher meiner Debütreihe »Liebe rein, Scheiße raus«, besagtes Kinderbuch und ein Thriller unter dem offenen Pseudonym Isa Falk.

 

»Es gab zahlreiche Stürme zu segeln, und gefühlt kam nie Ruhe rein.«

 

Was war die Herausforderung, von der du sprachst?

NDR-Interview
© Privat

Die Tatsache, dass ich anfing, groß zu träumen. Grundsätzlich nicht schlecht, aber das überwältigende Feedback, dass mir auch öffentlich zuteilwurde, weil ich meine Geschichte nicht nur im Buch, sondern auch im Fernsehen und der BILD der Frau sowie auf Lesungen teilte, schürte meinen Perfektionismus und den unbedingten Willen ganz groß rauszukommen. Der Ehrgeiz packte mich. Ich verlor mich in der Welt des vermeintlichen Ruhms und jagte dabei wahrscheinlich auch teilweise dem Traum der großen Autorenkarriere anderer nach, als dass es tatsächlich mein eigener war. Ich war geblendet und rannte nahezu sehenden Auges in die nächste Katastrophe. Fakt ist, dass der Herstellungsprozess eines professionellen Buches ein hohes Investment mit sich bringt, was sich am Anfang nicht lohnt. Es ist auch ein Teil der Wahrheit, dass ich viel in Coachings investiert habe. Persönlichkeitsentwicklung und Marketing-Geschichten. Neben dem Geld habe ich sehr viel Zeit für all das aufgewendet und meine Familie oft hinten angestellt.

Fühlst du dich schuldig?

Es fühlt sich in jedem Fall schwierig an. Schuldig fühle ich mich aber nicht. Ich brauchte das für mein Ego, dass das jetzt super erfolgreich wird und am besten noch ein Spiegel-Bestseller. Heute weiß ich, dass das nicht so ist. Dafür brauchte es aber diese Erfahrung.

An welchem Punkt hast du innegehalten? Und wie kam die Verbindung zu deinem eigenen Traum zurück?

Anja Jahnke Autorin
© Bonny McKenzie

Ende 2024 kam ich an einen Punkt, an dem ich bemerkte, wie ausgelaugt und müde ich wieder bin. Die Jahre zuvor haben mir auch privat viel abverlangt. Es gab zahlreiche Stürme zu segeln, und gefühlt kam nie Ruhe rein. Ich spürte die fehlende Verbindung zu mir und eine Schamanin machte mir klar, dass sich für mich keine neuen Gelegenheiten ergeben, keine neuen Türen öffnen können, solange ich weiter in meinem neuen Hamsterrad laufe. Denn, und damit traf sie den Nagel auf den Kopf, wann bitte schön, sollte ich mich neuen Aufgaben widmen? Ich war voll. Um mir also klar zu werden, was ich will und wie und vor allem warum, bedurfte es des Rückzugs. Den habe ich mir so lange gegönnt, bis sich plötzlich neue Ideen regten. Anfragen für Kooperationen hereinkamen, die ich diesmal sehr sorgfältig prüfte und mich nicht blindlings draufstürzte, weil ich Angst hatte, mir entginge sonst etwas. Einige habe ich sogar abgelehnt. Diese findest du im Übrigen in meiner Galerie des Stolzes [lacht]. Für mich geht es darum, in absoluter Verbindung mit mir zu sein. Denn nur dann kann sich herauskristallisieren, was ich wirklich will. Worin möchte ich den Unterschied ausmachen? Was möchte ich auf dieser Welt hinterlassen, wenn ich nicht mehr da bin?

Und? Was ist es, das du der Welt hinterlassen willst?

Es regt sich der tiefe Wunsch in mir, einerseits für Verbindung unter den Menschen zu sorgen und dabei meiner Neugier nachzugehen. Es ist an der Zeit, andere Menschen sichtbar zu machen. Ihnen und ihren ganz persönlichen Geschichten eine Bühne zu bieten. In dem ich mit ihnen in die Gefühlswelt eintauche, entstehen Verbindung und Nähe. Vielleicht sogar Parallelen zu meiner eigenen Gefühlswelt. Das ist mein Warum. Ich spüre, dass ich dazu beitragen kann, Vorurteile abzubauen, gegenseitiges Verständnis zu schaffen und damit Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensweisen und anderen Denkweisen aufzubauen.

 

»Oftmals habe ich zwar gesagt, ich bringe zu den Lesungen Taschentücher für meine Zuhörerinnen mit, aber eigentlich habe ich sie auch für mich mitgenommen.«

 

Auftritt, Lesung
© Lea Lippasson

Warum bist du dir da so sicher?

In den vergangenen vier Jahren habe ich zahlreiche Lesungen gegeben. Sowohl in Grundschulen vor Kindern, mit denen es immer spannend ist, über Gefühle zu reflektieren. Aber auch vor Erwachsenen: Gemeinsame mit Sarah Lippasson und Christoph Deuter ist das Veranstaltungsprogramm »(K)eine Lesung« entstanden. Wir sprechen auf der Bühne über unsere persönlichen Geschichten, untermalen diese mit gefühlvoller Live-Musik und haben damit Menschen berührt. Bisher nur im Kleinen, aber wir haben sie im Herzen erreicht und ich habe gemerkt, wie viel es Menschen bringt, wenn sich nur einige von uns nahbar und verletzlich zeigen.

Den Mut haben, die makellose Maske abzulegen?

Ja, die eigene Geschichte, losgelöst von der Angst, verurteilt zu werden, zu erzählen. Das erfordert jede Menge Mut. In meiner Galerie des Mutes hängen zahlreiche Veranstaltungsbilder, weil ich oft aus meiner Komfortzone herausgekommen bin. Das erste Buch »Liebe rein, Scheiße raus« zu veröffentlichen. Meine Zweifel über Bord zu werfen, die Hosen wirklich so weit runterlassen. Mich auch der Meinung meines Umfeldes auszusetzen. Den Mut aufzubringen, mich auf eine Bühne zu stellen und vor fremden Menschen über Erschöpfung und Depressionen zu sprechen, wobei ich selbst noch mitten im Prozess war.

Das war schwer zu vereinbaren, oder?

Das hat die ganze Sache in jedem Fall immer sehr emotional gemacht, ja. Oftmals habe ich zwar gesagt, ich bringe zu den Lesungen Taschentücher für meine Zuhörerinnen und Zuhörer mit, aber eigentlich habe ich sie auch für mich mitgenommen.

»Warum habe ich zu Beginn meiner polizeilichen Laufbahn nicht auf mein Bauchgefühl gehört?«

 

© Bonny McKenzie

Gibt es etwas, das du heute bereust?

Reue ist ein schwieriges Gefühl. Ich glaube, alles, was ich getan habe, egal ob es sich im Nachhinein als gute oder weniger gute Entscheidung herausstellte, hatte seinen Sinn und sein Learning. Alles musste so kommen. Deswegen bereue ich nichts.

 

Was hättest du gerne früher verstanden oder gehört?

Auch eine spannende Frage, die mit der Reue in gewisser Hinsicht zusammenhängt. Gerade mit meinem ersten Berufsleben als Polizistin habe ich mich in der Therapie sehr intensiv auseinandergesetzt. Es stellte sich immer die Frage: Warum habe ich zu Beginn meiner Laufbahn nicht auf mein Bauchgefühl gehört? Das ist etwas, das ich öffentlich bislang nur in sehr ausgewählten, kleinen Runden geteilt habe, weil ich mich einerseits geschämt habe, meiner Intuition nicht gefolgt zu sein. Andererseits wollte ich das nie als Vorwurf in Richtung meines Vaters verstanden wissen, der mich auf diesen Weg gebracht hat. Bereits im ersten Praktikum habe ich gemerkt, dass es nicht mein Beruf ist. Es gab unter anderem eine sehr bedrohliche Situation häuslicher Gewalt in einer Familie, die mich ratlos und verängstigt zurückgelassen hat.

Womit überzeugtest du dein Bauchgefühl dennoch zu bleiben?

Der Kopf siegte. Meine Familie war so stolz auf das, was ich erreicht hatte. Zu studieren. Als Beamtin finanziell abgesichert zu sein. Für mich allein sorgen zu können. Wenn diese Stimme im Kopf nicht so viel lauter gewesen wäre als das leise Bauchgefühl, dann wäre mein Leben komplett anders verlaufen. Heute weiß ich: Es sollte genau so kommen. Auch wenn ich mich in den knapp zwanzig Berufsjahren oft wie eine Fremde in Uniform fühlte und häufig gerade menschlich an Grenzen stieß.

 

»Nur so konnte ein Bild kreiert werden, das Leichtigkeit, Verbindung, Gelassenheit und Glück miteinander verbindet und damit zum Sinnbild meiner Reise wurde.«

 

Konntest du diese Ereignisse inzwischen aufarbeiten?

Ja, mein Kopf wollte verstehen, warum die Intuition nicht laut genug war, alle Zweifel aus dem Weg zu räumen. Es war einfach noch nicht dran. Ich musste sehr viele Erfahrungen sammeln und bin heute dankbar für jede Einzelne. Und ich bin zutiefst dankbar dafür, dass mein Vater mich damals auf diesen Weg gebracht hat, weil er mir damit so viel geschenkt hat, was ich heute nicht missen möchte. Es sind nicht nur die Erfahrungen innerhalb der Organisation, die mich stark gemacht haben. Es ist vordergründig das, was privat entstanden ist. Wundervolle Jahre mit einem ersten Mann, der mir eine bezaubernde Tochter geschenkt hat. Und einen liebevollen zweiten Ehemann, den ich über alles liebe und mit dem ich zwei einzigartige Kinder bekommen habe. Es waren stürmische Zeiten und manchmal drohte ich zu kentern. Doch was ich heute habe, macht mich zur glücklichen Version meiner Selbst. Um deine Frage, was ich gern früher verstanden hätte, zu beantworten: Nichts!

Zypern, Retreat, Fotoshooting
© Lisanne Scholz

Werfen wir doch den Blick in eine weitere Galerie. Du sprachst eben von der glücklichen Version deiner Selbst. Welche Bilder hängen hinter der Tür des Glücks?

Ich öffne die Tür und sehe das Bild eines Eisbechers: Häagen-Dazs belgische Schokolade mit Blaubeeren und ein wenig Eierlikör [lacht]. Nee, in meiner Glücksgalerie hängen zahlreiche Bilder meiner gesamten Familie. Klar, mein Mann und die Kinder. Meine Schwester und deren Kinder. Meine Eltern. Omas und Opas. Mein Schwiegervater. Da hängen unzählige Menschen, die ich gerade in den vergangenen Jahren kennenlernen durfte. Starke Frauen. Bilder von Urlauben und ruhigen Momenten während der Retreats, die ich besuchen durfte.

Welches steht für pures Glück?

Sehr präsent ist ein Foto von mir vom Fotoshooting an der Küste Zyperns. Es vereint den perfekten Moment, [wischt sich eine Träne weg]. Stimmung und Kulisse passten. Joana, die Veranstalterin des Retreats, lieh mir ein weich fallendes Kleid. Lisanne, die Fotografin, hat einen bemerkenswerten Blick für den Moment. Umgeben von wundervollen Zauberfrauen, die mich auf sehr unterschiedliche Art und Weise aus meiner Komfortzone gelockt haben. Nur so konnte ein Bild kreiert werden, das Leichtigkeit, Verbindung, Gelassenheit und Glück miteinander verbindet und damit zum Sinnbild meiner Reise wurde.

Wenn du deiner jüngeren Version heute einen Satz sagen könntest: Welcher wäre es?

Hab Vertrauen und spüre genau hin.

Wie kann man deine Vision unterstützen?

Jeder Mensch hat Geschichten zu erzählen. Nicht nur selbstständige Frauen oder jemand mit einem krassen Schicksalsschlag. Jeder Mensch trägt alle Gefühle in sich. Es sind weitaus mehr als die präsenten Vertreter, wie Angst, Scham, Glück und Freude. Hast du dich schon einmal gefragt, welches Ereignis du mit Selbstzweifeln, Ehrgeiz, Neid, Rivalität, Skepsis, Sehnsucht und Ohnmacht verbindest? Der Gang ist endlos lang. Ich möchte diese Türen mit dir öffnen. Deine Geschichte erzählen. Trau dich! Auch wenn es erstmal nur ein Impuls ist und dein Kopf gar nicht begreift, warum das so ist. Vielleicht bist du genau der Mensch, der die Welt durch das verbessert, was du zu erzählen hast. Wenn du mein Warum nachempfinden kannst und dich eingeladen fühlst, deine Galerie zu öffnen, deine Geschichte zu teilen, melde dich einfach bei mir (kontakt@anja-jahnke.com). Du bist herzlich willkommen!

 

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